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Moderne Elternschaft – zwei Expertinnen geben Tipps

Text: Julia Weise-Holtgräwe
Empathisch und bedürfnisorientiert, das ist das Ziel von moderner Elternschaft. Doch der Weg dorthin kann mitunter mühsam sein. Sarah und Trish haben es sich mit ihrer Plattform jaeltern zur Aufgabe gemacht, Mütter und Väter zu begleiten.

In einem Gespräch mit uns geben sie Tipps: zum Umgang mit Kindern, dem eigenen Ich und auch gut gemeinten, aber überflüssigen Ratschlägen.

Viele Mütter und Väter sind verunsichert, wie sie ihre Kinder begleiten und erziehen sollen. Ihr habt mit jaeltern eine Beratungsplattform rund um Elternschaft ins Leben gerufen. Was sind die häufigsten Fragen oder Unsicherheiten, mit denen Eltern sich an euch wenden?

Die häufig gestellten Fragen beginnen meist mit „Ist es okay, wenn ich…“ oder „Ist es okay, wenn mein Kind…“  Alle Fragen haben aus unserer Sicht eine Gemeinsamkeit: Eltern haben eigentlich ein sehr gutes Gespür dafür, was richtig für sie und ihr Kind ist. Sehr intuitiv wählen sie sehr häufig liebevolle Wege für ihre Kinder, stoßen jedoch in der Gesellschaft  immer wieder auf Ratschläge wie „Nur nicht im Bett schlafen lassen, das ist lebensgefährlich“ oder „Schreien stärkt die Lungen“, „Du darfst es nicht zu sehr verwöhnen“,  „Wenn du es ständig trägst, lernt es nie zu laufen“ usw. Wir sehen es als unsere Aufgaben, Eltern dabei zu begleiten, ihrem Feingefühl und ihrer Intuition wieder mehr zu vertrauen und sie zu bestärken, mutig während ihrer Elternschaft ihren Herzensweg zu gehen.

Warum ist Elternschaft heute mit viel mehr Fragen und Unsicherheiten behaftet als früher?

Trish: Ich denke, dass unsere Eltern oder Großeltern schlichtweg nicht die Zeit und Möglichkeiten hatten, gewisse Dinge zu hinterfragen oder zu reflektieren. Wir wachsen mit mehr Bewusstsein auf und haben 24/7 Zugriff auf Wissen jeglicher Art. Das kann unfassbar hilfreich und gleichzeitig absolut überfordernd sein. Jungen Eltern ist bewusst, wie einflussreich die Kindheit auf das spätere Erwachsenenleben ist und eignen sich viel Wissen auf Grundlage aktueller Forschung an. Das ist wichtig und sehr hilfreich für eine bedürfnisorientierte Elternschaft, gleichzeitig kann das angeeignete Wissen uns aber auch von den eigenen Überzeugungen, der Intuition, dem Bauchgefühl abbringen. Denn egal wie gut die Bücher, Blogs, Onlinekurse & Weiterbildungen sind, die wir besuchen: Jedes Kind, jedes Elternteil, jede Familie ist so individuell und so komplex, dass nur individuelle Entscheidungen getroffen werden können und dazu brauchen wir nicht nur unseren Verstand, sondern eben auch unser Herz.

Bindungsorientierte Erziehung baut hier eine Brücke zwischen Eltern-Kind-Bindung und einem Orientierungsrahmen für das Kind. Was sind die wichtigsten Eckpfeiler dieses Konzeptes?

Das sind vor allem diese drei Säulen:

  1. Persönlichkeitsentwicklung der Eltern – also das Erforschen und Reflektieren der eigenen Biografie. Dazu gehört auch, sich bei Bedarf professionelle Unterstützung zu suchen.
  2. Kindliche Entwicklung verstehen: Tief in uns wurden wir mit der gesellschaftlichen Angst geprägt, dass Kinder Tyrannen sind, die ihre Eltern manipulieren wollen… Es ist wichtig, das Verhalten unserer Kinder zu verstehen, damit wir es richtig deuten und empathisch darauf reagieren können.
  3. Eigene Bedürfnisse/ Grenzen/ Gefühle/ Selbstliebe (kenne)lernen: Die Reise der Elternschaft ist auch eine Reise zu sich selbst. Wir kommen in Verbindung mit unserem eigenen inneren Kind und haben so die Möglichkeit, alte Verletzungen zu heilen und uns durch unsere Kinder an etwas zu erinnern, dass wir im Laufe der Zeit vergessen haben…. Nämlich, dass wir genau so gut sind, wie wir sind!

Einmal ganz praktisch: Wie begleite ich mein Baby bindungsorientiert? Oft gibt es ja noch gut gemeinte Ratschläge, man solle den Säugling nicht so viel tragen oder ständig stillen – damit würde man das Kind ja verwöhnen.

Väter und Müttern begleiten im Rahmen bindungsorientierter Elternschaft mit der Überzeugung, die sie in ihrem Herzen tragen, wenn sie ihr Baby ansehen. Wenn junge Eltern ihre schlafenden Babys ansehen, spürt man pure Liebe. Eltern wissen instinktiv, dass ihr Baby all die Liebe verdient hat, die sie besitzen.
Ein weiteres wichtiges Stichwort: Abgrenzung. Gut gemeinte Ratschläge sind unfassbar wichtig für Eltern. Dabei können sie nämlich wunderbar Abgrenzung üben. Im Laufe unserer Zeit haben wir gelernt, dass es deutlich angenehmer ist JA als NEIN zu sagen. Menschen lieben Harmonie und möchten andere ungern vor den Kopf stoßen, weshalb wir bisher vielleicht auch Dinge gemacht haben, die sich nicht so gut angefühlt haben. Mit unseren Kindern entwickelt sich nun häufig eine Kraft und eine Überzeugung, die es möglich macht, unsere Grenzen – beziehungsweise die Grenzen der Kinder – klar zu kommunizieren.

Gut gemeinte Ratschläge sind nicht selten auch übergriffig: Ob sich eine Frau fürs Stillen oder für die Flasche entscheidet, wie sie gebärt und ob sie das Schlafen im Familienbett bevorzugt, geht Tante Erna oder den Nachbar einfach nichts an!

Im Kleinkindalter differenzieren sich dann Bedürfnisse und Wünsche. Oft stehen diese beiden Bereiche weit auseinander – zum Beispiel, wenn das Kind müde ist und eigentlich ein Schlafbedürfnis hat aber trotzdem noch den Wunsch nach Spielen äußert. Wie können Eltern dann bindungsorientiert reagieren?

Sarah: In der Akutsituation würde ich versuchen, einen Mittelweg zu finden: „Ich sehe, du magst noch mit den Autos spielen. Nimm‘ doch den roten Flitzer mit ins Bad. Ich putze dir die Zähne und du spielst noch ein wenig.“ Im Rahmen bindungsorientierter Elternschaft können wir versuchen, das Bedürfnis hinter dem Wunsch zu sehen. Das ist nicht immer ganz einfach, aber wir können es üben – übrigens auch an uns selbst. Nicht jeder Wunsch muss erfüllt werden, ein Bedürfnis schon – je nach Dringlichkeit, Alter und Entwicklungsstand früher oder später.

Grundsätzlich ist es hilfreich, mit Kindern vorausschauend zu leben. Das bedeutet, dass ich als die erwachsene Person im Hinterkopf habe: Wann wird mein Kind müde? Wann kommt der große Hunger? Ein übermüdetes Kind kann nach einem langen Tag nicht mehr leicht kooperieren. Wir dürfen es uns dann ruhig leicht machen und zum Beispiel auf den Schlafanzug verzichten. Oder wenn das morgendliche Umziehen schwierig ist, einfach schon in gemütlicher Kleidung schlafen gehen, die dann am nächsten Morgen an bleiben kann.

Ein wichtiges Thema ist für euch gerade – wie für viele Eltern auch – die Eingewöhnung. Ihr habt die Initiative #eingewöhnunggehtauchanders ins Leben gerufen. Was steckt dahinter?

Sowohl in unserem beruflichen, als auch privaten Umfeld erleben wir eine zu große Anzahl an belastenden, schwierigen und qualitativ schlechten Eingewöhnungen. Wir bemängeln, dass Trennungen zwischen Eltern und Kindern zu abrupt stattfinden, zu wenig Zeit und Feingefühl in den Beziehungsaufbau mit pädagogischem Fachpersonal investiert wird und Kinder im neuen Kita-Alltag sehr auf sich gestellt sind.


Wir erleben noch zu wenig Bereitschaft von Einrichtungen, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Die Devise „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist leider stark vorherrschend und auch die Annahme, dass „es uns ja auch nicht geschadet hat“. Wir wollen diesen Missstand so nicht mehr hinnehmen und haben aus diesem Grund die Bewegung #eingewöhnunggehtauchanders ins Leben gerufen. Bei uns haben die Eltern die Möglichkeit, mit ihren Sorgen ernst genommen zu werden. Wir bieten aber auch Einrichtungen unsere fachliche Unterstützung an, die gerne einen moderneren Weg einschlagen möchten.

Was sollten Eltern tun, wenn sie ein mulmiges Gefühl bei den ersten Kita-Tagen ihres Kindes haben?

Aus unserer Erfahrung und vielen Gesprächen mit Eltern empfehlen wir diese Punkte:

  1. Nicht darüber hinweg gehen. Tendenziell sind wir so sozialisiert, dass wir unserer Intuition wenig Aufmerksamkeit schenken und eher den Verstand unsere Gefühle absprechen lassen. Ein mulmiges Gefühl löst sich jedoch meist nicht von allein in Luft auf, sondern kann wieder kommen und sich verstärken. Wenn wir Zweifel haben, spüren das unsere Kinder schnell.
  2. Unbedingt mit dem Kita-Personal sprechen und die Bedenken äußern. Am hilfreichsten erlebe ich (Sarah) es, wenn wir dabei so authentisch wie möglich sprechen und auf Vorwürfe verzichten:  „Ich frage mich …“ / „Ich habe Sorge, dass…“ /
  3. Sich Unterstützung holen und über seine Gefühle sprechen: Dies können entweder vertraute Menschen sein, bei denen man sich verstanden fühlt und die helfen können, die Situation gemeinsam zu sortieren. Oder aber auch in Form einer professionellen Begleitung zum Thema Eingewöhnung, wie wir sie unter anderem zu diesem Thema anbieten.

Wenn die Kinder größer werden, ist es umso wichtiger, ihnen Orientierung zu geben. Wie erreicht man dabei optimal Kita- oder Grundschulkinder?

Jesper Juul, ein bekannter dänischer Familientherapeut, sagte: „Wenn Kinder keine Möglichkeit haben, Nein zu sagen, können sie auch nicht Ja sagen.“ Dies trifft auch unsere Überzeugung: Wenn wir unsere Kinder und ihre Kooperationsbereitschaft erreichen möchten, dann gelingt das am besten, wenn sie sich von uns gesehen, gehört und ernst genommen fühlen. Natürlich haben wir als Erwachsenen den Überblick über die Situation, mehr Lebenserfahrung und tragen die Verantwortung. Wenn wir jedoch bindungsorientiert mit unseren Kindern leben möchten, nehmen wir sie im Rahmen unserer Elternschaft als gleichwürdige Person wahr und beziehen ihre Gedanken und Bedürfnisse in die Alltagsplanung mit ein und geben ihnen altersgemäß Raum für Mitgestaltung und eigene Entscheidungen.

Ob Geschwisterstreit, Essen oder Schlafenszeit – viele Themen in der Familie bieten Konfliktpotenzial. Wenn es einmal kracht: Wie bleibe ich bei einem Streit mit meinem Kind in Verbindung?

Indem ich als Elternteil authentisch bleibe. Bei mir (Trish) kommt es auch vor, dass ich mich im Ton vergreife oder Sätze sage, von denen ich mir geschworen habe, sie NIEMALS zu sagen! Ich spreche mit meinen Kindern darüber, ich entschuldige mich, ich übernehme Verantwortung und erkläre ihnen, warum ich so gehandelt habe. Dass ich überfordert oder gestresst war, denn es ist doch so wichtig, dass Kinder Vorbilder haben, die sich selbst Fehler eingestehen und verzeihen können. Es ist mir so wichtig zu sagen, dass Konflikte in Familien absolut normal und okay sind. Wichtig ist, dass Eltern erwachsen mit diesen Konflikten umgehen und den Fehler oder die Schuld nicht bei den Kindern suchen.

Das alles zu beachten, ist manchmal gar nicht so einfach. Hinzu kommt ja noch, dass moderne Elternschaft in modernen Zeiten stattfindet. Ob über Social Media, am Spielplatz oder in der Elterngruppe – gefühlt sind Eltern permanent Vergleichen, Beurteilungen und manchmal sogar Verurteilungen ausgesetzt. Wie sollten Mütter und Väter hier reagieren? Und wie finden sie ein Umfeld oder Netzwerk, das sie bestärkt?

Ganz hervorragend sind empathische und empowernde Eltern natürlich in unserer Community zu finden. Ich denke ja, dass Eltern, die stark vergleichen und andere beurteilen, eine starke innere Verunsicherung verspüren. Dieses Wissen kann helfen, empathisch auf sie zu reagieren und sich nicht auf einen „Konkurrenzkampf“ einzulassen. Was helfen kann, ein starkes Umfeld oder Netzwerk zu finden, ist, sich selbst  authentisch und verletzlich zu zeigen. Ehrlich mit den Herausforderungen der Elternschaft umzugehen: Denn, wenn du dir selbst die Erlaubnis gibst, zu deiner „Unperfektheit“ zu stehen, gibst du automatisch auch deinem Umfeld die Möglichkeit, sich ehrlich zu öffnen, ohne Angst zu haben, verurteilt zu werden. Diese Angst tragen nämlich sehr viele Eltern in sich.

Weitere Informationen zu Trish, Sarah und ihrer Community jaeltern findest du im Internet unter jaeltern.de oder auf Instagram unter @jaeltern.de

Fotos: jaeltern, Getty

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